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Pressekritiken: Orplid

Presse: Freie Presse Chemnitz

Neue Musik in die Nische gedrängt
Konzert des MDR mit Uraufführung im Gewandhaus Leipzig
Von Werner Kaden

Von Glück kann heutzutage jeder Komponist reden - gemeint sind nicht die Fließband-Produzenten - wenn eines seiner Werke aufgeführt wird. Und besonders glücklich wird jeder über eine Uraufführung sein, denn immer mehr geht im Konzertleben der Trend zu Bekanntem, zu Vertrautem. Alles andere macht Mühe und bringt nichts ein. Noch nie wurde neue Musik vom gewinnorientierten Musikmarkt so sehr in die Nische gedrängt wie gegenwärtig. Wer da keinen Namen hat und keine Gönner, sitzt chancenlos auf seinem Stapel Notenpapier. Eine der wenigen Institutionen, die Neues überhaupt zum Klingen bringen, zudem auch noch Kompositionen in Auftrag geben, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Andernfalls wäre am Sonntag Vormittag im Neuen Gewandhaus zu Leipzig nicht ,,Orplid: Kein Ort -nirgendwo" für Chor a cappella als Uraufführung zu erleben gewesen, ein Auftragswerk des MDR. Und der Hallenser Thomas Buchholz (1961 in Eisenach geboren) konnte sich glücklich schätzen, dass er dafür mit dem Chor des Mitteldeutschen Rundfunks und seinem Leiter Howard Arman die besten Anwälte erhielt.
Erwartung klang im Eingangschor an: ,,Du bist Orplid, mein Land! Das ferne leuchtet", Worte von Eduard Mörike. Und zum Abschluss nicht nur die Wiederholung als Replik, sondern als Anhang noch Heiner Müllers Vers ,,Meine Hoffnung ist der letzte Atem". Mit Ernst und Können ging Buchholz ein ewiges Thema an: Orplid ist das Synonym für die Suche des Menschen nach dieser Insel der Harmonie und des Glücks, erreichbar, indem ,,der Schluchten dunkler Tiefe" (Georg Heym) durchschritten, die Abgründe des Schreckens und der Verzweiflung bezwungen werden. Diese verschlüsselten, anspruchsvollen Texte von Mörike, Müller und Heym setzte Buchholz nicht etwa mit abgegriffenen Ton- und Lautmalereien um, auch nicht mit Verfremdungen und Verrenkungen menschlicher Stimmen, in denen andere ihr Heil erblicken. Er behielt in allen sechs Sätzen den gewohnten Chorklang bei, ließ ihn in breiten, fülligen Klangbändern dahinströmen oder faltete ihn bis zur Unhörbarkeit zusammen, fragend und hoffend.
Das Bekenntnis zum Gesang, zur Reinheit und Schönheit der Stimmen, war ein Bekenntnis zu Menschlichem. Und die im Text angedeutete Apokalypse deformierte weder Tonalität noch Wohlklang, die Sinnbilder dafür, dass Harmonie und Glück Realität werden könnten, und sei es auch nur als fernes Leuchten. Thomas Buchholz beherrscht das vokale Metier, setzte alle Techniken ein, die seit der Hochblüte polyphoner, doppelchöriger Kunst entwickelt wurden. Sogar den Raumklang nutzte er, indem er Solisten als ,,Engel der Verzweiflung" von der Saalempore herab mit dem a-cappella-Chor korrespondieren ließ. ,,Orplid" ist ein schwieriges, ein aussagestarkes Chorwerk, gestaltet mit musikalischen Mitteln, die mehr denn je ihre Brauchbarkeit bei solch zeitgemäßer Thematik erwiesen.
    Ganz gleich, womit der Chor des MDR auftritt, stets sind Superlative angebracht, um die Sicherheit der Intonation, die Ausgewogenheit des schlanken Chorklanges, die flexible Dynamik und anderes mehr mit Worten andeuten. Howard Arman hält den Chor auf seiner internationalen Spitzenposition, auch mit der Interpretation der Bach-Motette ,,Komm, Jesu, komm" BWV 229 zu Beginn der Matinee im Gewandhaus. Für den Abschluss hatte er mit der Kantate ,,The Celestial country" von Char-les Ives, im Jahre 1898 für Chor, Streichquartett, Trompete, Eupho-nium, Pauken und Orgel komponiert, noch eine Überraschung parat. Kaum etwas erinnerte an den späten Neutöner, den experimentierenden Sonderling. Hier bewegte sich Ives noch in Bahnen der populären Kirchenmusik Amerikas, und besonders dem immer wiederkehrenden ,,Vorwärts in das Licht" verlieh er damit Überzeugungskraft, zuversichtlich und mitreißend. Zu Bach-Motette und zur Uraufführung stellte sich die gedankliche Brücke her.

MDR-Kultur sendet am 11. April, 20 Uhr die Aufzeichnung des Konzerts.





© 2006 Thomas Buchholz - Komponist

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