» Vita

Werkeinführung

Thomas Buchholz: SCHARAKAN für Sopran und Kammerensemble

Scharakan entstand im Frühjahr 2002 im Auftrag der Gesellschaft für Neue Musik e. V. und wurde am 7. Juli 2002 in der romanischen Stiftskirche auf dem Petersberg bei Halle uraufgeführt.

Die armenisch-apostolische Kirche zählt als die älteste Staatsreligion der Welt. Sie wurde im Jahre 301 nach Christus durch König Trdat III ausgerufen. Seit dieser Zeit verbinden die Armenier ihre nationale Identität unmittelbar mit ihrer Kirche. Das Hymnarium der armenischen Kirche entstand zwischen dem 5. und dem 15. Jahrhundert und wird Scharaknotz genannt. Der Mönch Mesrop Mastotsch erfand gegen 405 die armenischen Schriftzeichen. In der Folgezeit entstanden neben der Übersetzung der Bibel viele Schriften zur Begründung des Christentums. Bis auf den heutigen Tag hat sich die Liturgie nicht geändert. Sie ist in altarmenischer Sprache, die heute nur noch von den Pristern und einigen Wissenschaftlern verstanden wird. Scharakan ist der Terminus für den Hymnus in der armenischen Kirche. Er umfasst sowohl liturgische als auch liedhafte Melodien. Alle Gesänge sind unmittelbarer Bestandteil des Patarak, der armenischen Messe.

Für die vorliegende Komposition  wurde in variierter Form ein Scharakan aus einer Sammlung des bedeutendsten armenischen Komponisten Vartabet Komitas verwendet, die dieser im Oktober 1892 als Mönch in Kutina anlegte. Der Text des Scharakan bezieht sich auf den fast gleichlautenden Bericht der vier Evangelisten über die Erscheinung des Engels am leeren Grab Christi. Komitas hat ähnlich Bartók Volksmelodien gesammelt und in moderne Notation gebracht. Auch beschäftigte er sich mit der bis heute nicht entzifferbaren Notation in Hrasen (s. S.2), Notenzeichen die den römischen Neumen ähnlich sind. Über die Herkunft des Textes macht Komitas keine Angaben.
Der zweite Text entstammt einer Scharaknotz-Handschrift des 12. Jahrhunderts und ist Teil eines Scharakan an der Bahre eines Entschlafenen. Der Verfasser des Textes ist der berühmte altermenische Dichter ist Nerses Schnorhakali. Die formale Anlage der gesamten Dichtung, von der hier nur der Anfang verwendet ist, entspricht einer alphabetischen Akrostichis. Aber nicht nur die Form, auch die Wortwahl und die Wortbildung legen Zeugnis über den hohen Stand der armenischen Künste in dieser Zeit ab. Sie sind dem Niveau zentraleuropäischer Künster dieser Zeit mindestens gleichbedeutend.
Mit Achtung und Ehrfurcht vor der Größe und Bedeutung dieser frühchristlichen Tradition suchte ich, mit meiner Musik dem Anliegen der Texte nachzuspüren. Wesentliche Elemente armenischer Melodik habe ich dabei unverzerrt übernommen. Bilden sie doch letztlich einen wesentlichen Bestandteil einer über 1700 Jahre unverändert reichen Musikkultur. Ihre Entdeckung war ein Gewinn für meine kompositorische Erfahrung.





© 2006 Thomas Buchholz - Komponist

  top ↑