Werkeinführung
Thomas Buchholz: Kammersinfonie VII "Ex-sequi"
1635/36 komponierte Heinrich Schütz auf den
Tod seines Landesherren Heinrich Posthumus Reuß seine Trauerrnusik,
die er unter dem Titel "MUSICALISCHE EXEQUIEN" veröffentlichte. Das
Werk war zunächst christliche Ritualmusik für ein Trauerzeremonial
und bestand, den durch den Fürsten vorgegebenen Text verwendend, aus
einem geistlichen Concert in Form einer Begräbnismissa, einer Motetle
und dem Canticum Simeonis. Das Werk ist für Singstimmen geteilt in
Soli und Capellchor und Basso continuo und zählt zu den bedeutendsten
Trauerrnusiken, die das 16. und 17 Jahrhundert hervorgebracht hat.
Als man 1994 in der Gruft der Salvatorkirche
in Gera mit der Bergung der insgesamt 14 Sargophage des Reußischen
Fürstenhauses begann, wurde ein lang vermutete Annahme zur Tatsache:
Der Sarg des Heinrich Posthumus war vollständig mit Blbeltexten und
Choralzitaten beschriftet. Es sind dies genau die Texte, die Schütz
in seinen Exsequien vertonte. So standen dann die Schütz-Tage 1995
ganz im Zeichen der Sepulkralkultur der Schützeit. Die Schütz-Akademie
bestellte beim Komponisten Thomas Buchholz ein neue Komposition, die in
gewisser Weise dem Anlaß gerecht werden sollte. Buchholz komponierte
vorliegende Kammersinfonie, die am 6. Oktober 1995 in der Kirche zu Bad
Köstritz (Schütz Geburtsort) ihre Uraufführung erlebte und
seither etliche Male wiederholt aufgeführt wurde. Nicht Schützsche
Musik zitterend, sondern unter Verwendung assoziativer Textabschnifte aus
den Exeqientexten als Satzüberschriften einer reinen Instrumentalmusik
näherte sich Buchholz dem Komponisten Schütz Eine inhaltliche
Klammer erfährt die Textauswahl durch die Splittung der ersten Intonationsfloskel
"Nacket bin ich von Mutterleibe kommen, nacket werde ich wiederum dahinfahren"
aus dem Concert (Missa). Musikalisch beinhaltet sie eine rethorische Figur
(musikalischen Figurenlehre), die einen aufsteigenden Gestus besitzt und
Anabasis genannt wird. Der Prozeß von Kommen und Dahinfahren wird
als Ganzheit des irdischen Lebens begriffen. Eine Sichtweise, die nach
der Aufklärung immer mehr dem trennenden Verstand weichen mußte.
Diese aufsteigenden Anabasisliguren sind über
das gesamte Werk in immer neuen Details hörbar. Das gesamte Werk strukturiert
sich klanglich von den Tiefe des Cellos im ersten Satz bis zu den
höchsten Tönen der Violine im letzten Satz. Die anderen
3 Mitteisätze gehen in ihren Titeln auf die Bezeichnungen im Schützschen
Opus zurück Auch die Assoziatlonstexte stammen aus den jeweiligen
Stücken der Exeqien von Schütz. Die Struklurierung ist
nach strengen Konstrukitonsprinzipien gestaltet, die den frühbarocken
Formen entlehnt wurden. Buchholz entwickelt eine sensible Klanglichkeit,
die unmittelbar den Hörer zu ergreifen sucht Vielleicht verbindet
ihn das besoders mit Heinrich Schütz Die Sparsamkeit der gewählten
musikalischen Mittel, der wohldurchdachte Klangaufbau bis zum 4. Satz,
wo der latainische Text des "Credo in unum deum" die Situation "meine Augen
haben deinen Heiland gesehen" wohl am elndrücklichsten beschreibt.
Der Umgang mit dem Tod ist heutzutage problematischer
geworden. Das mag einmal am allgemeinen Glaubensverlust liegen, andererseits
an der gedanklichen Abkopplung des Todes als Gegenwort zu Leben. Tod ist
damit entfremdet und wird nicht mehr als Teil des Lebens begriffen. In
dieser Denkweise unterscheiden wir uns heute unzweifelhaft von der Denkwenkweisen
der Schütz-Zeit
Die Musik dieser Kammersinfonle ist eine leise,
intime Musik, sie zwingt nicht, aber sie schwatzt auch nicht. Sie ist einfach
und sie ist auch kompliziert. Noch kein Jahrhundert hat so viele Kriegsopfer
gehabt; nie waren wir dem sterbenden Menschen ferner als heute. Wer den
Glauben verloren hat, hat auch die Hoffnung verloren.
I. Stein, 1995
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