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Werkeinführung

Thomas Buchholz: Hilflos - Jüdische Musik für Violine und Klarinette (2006)

Entstehung:
2006 im Auftrag des Int. Sternschen Musikverlages, Oberhausen

Werkaussage:
Die gesellschaftliche Situation, in der sich meine Generation gegen Ende eines Jahrhunderts mit zwei Weltkriegen, Holocaust und Atombomben befindet, ist nach wie vor von unterschiedlichsten Bedrohungen menschenmöglicher Sensibilität und einer gefährlichen Art von Oberflächlichkeit im Umgang mit humanitären Werten geprägt. Somit ist die Problematik des deutschen Holocaust über ein halbes Jahrhundert nach der Wannseekonferenz immer noch von erschütternder Aktualität - und hier und heute nicht das Ergebnis von materieller Armut. Ignoranz und mangelnde Achtung vor der Persönlichkeit jedes einzelnen Menschen findet mitten in einem der reichsten Länder der Erde statt. Sie führen zu Ausgrenzung und Vereinzelung. Hilflos wirken die Signale der Betroffenen. Hilflos wirkt das tägliche politische Gerede von verbessernden Veränderungen im Angesicht des täglich Erlebten. Hilflos steht der Künstler vor der Weite des Unmöglichen, im Rücken die Trümmer erlebter Politik. Wenn Menschenverachtung eine wesentliche Grundlage faschistischer Ideologie und Politik war, wie weit darf Wahrnehmung gehen, wie viel Haltung darf ungestraft bleiben, wenn wir über uns in der Gegenwart sprechen? Die Signale des Schmerzes sind nur selten durch die Lautheit des Schreiens gezeichnet. Wie viele leise Zeichen kann ein Bild der Gegenwart enthalten? Aus wie viel Verstummen gebiert sich Veränderung? Wer ist noch so fühlend, das Nichtgesagte zu erahnen? Da sind Zeichen in der Luft, ganz hoch oben, die haben den Himmel geschwärzt. Aber ihre Schreie sind nicht mehr. Die Gegenwart des Todes ist nun die tote Gegenwart. Und wenn wir die Saiten streichen, dann singen wohlmöglich die Engel den Schmerz. Es tut gut, wenn man noch Angst hat, denn Angsthaben bedeutet Fühlenkönnen. Die Gegenwart des Todes ist die tote Gegenwart und der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Ich habe wieder jene semitische Angst, wie schon das Blut meines Geschlechts. Mehr als ein halbes Jahrhundert danach.





© 2006 Thomas Buchholz - Komponist

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