Werkeinführung
Heine-Madrigale
„Anfang und Ende aller Dinge ist ein Gott“, formulierte Heine am Ende seines Vorberichts zur Romantischen Schule . Welcher Art jedoch Heines Religiosität war, darüber
lässt sich nur mutmaßen. Heine hat oft genug mit beißendem Spott und Ironie gegen die etablierte Kirche und deren Vertreter gewettert. Besonders scharf kritisierte er die
Allianz von weltlicher und kirchlicher Macht, die sogenannte Staatsreligion. Somit erscheint auch Heines Attacke gegen die Heilversprechen der Kirche als Lüge gegenüber
dem leidenden und hoffnungssuchenden Menschen. Und es war Heine selbst, der zuerst vom einschläfernden Tropfen geistigen Opiums sprach, nicht ahnend, dass später der
Kommunismus seinen Atheismus mit eben denselben Worten zu begründete. Das macht unsere heutige Heine-Rezeption etwas schwierig, bei aller Anerkennung seiner literarischen Genialität.
Heine spaltet die Gemüter. Die einen mögen in seinen Angriffen auf die Kirche einen Beweis für seinen Atheismus sehen, andere zweifeln genau diese Interpretation an, da die meisten
Äußerungen Heines primär nicht die theologische Frage nach dem Wesen Gottes aufwerfen, sondern als politisch motivierte Kirchenkritik zu verstehen sind. Heines Studie Zur Geschichte
der Religion und Philosophie in Deutschland ist mit zwei Vorreden erhalten, die Heines Wandlung auch in der Gottesfrage belegt. Während er 1834 seine Studie noch ganz auf das Diesseits
richtet, revidiert er 1852 seine Sicht auf die Gottesfrage grundsätzlich und führt dies auf seine Lektüre der Bibel zurück. Er spricht an dieser Stelle sogar von einer Erleuchtung. Heines Rückkehr
zu einem vielleicht sehr persönlichen Gottesbild ist nicht von allen seiner Biografen gleichermaßen angesehen worden. Mittlerweile hat, spätestens seit dem Heine-Jahr 1997 auch die Kirche ihren
Frieden mit Heine gemacht. In katholischen wie evangelischen Akademien fanden Heine-Tagungen statt, die von seinem Interesse an Theologischen und politischen Fragen, aber auch von seiner
Kirchenkritik handeln.
Heine-Madrigal I
Bei meiner Beschäftigung mit romantischer Dichtung war ich Heine daher immer etwas aus dem Weg gegangen. Auf der Suche nach einem Friedenstext, fiel mir jedoch der Nordsee-Zyklus in die
Hände. Heine schrieb einen Großteil der Gedichte auf seiner Reise nach Cuxhaven, Norderney und Wangerooge in den Jahren 1823 bis 1827 direkt vor Ort. Ich hatte ernsthafte Überlegungen darüber, wie
Heines Christussicht hier auszulegen war. Im Kontext mit der Naturschilderung des Gedichtes Frieden war für mich ein atheistischer Hintergrund nicht augenfällig. Seine Christus-Erscheinung ist eingebettet
in die Bewunderung der Naturschönheit, fernab von Staat und Kirche. Vielleicht sind diese Verse ein früher Beleg dafür, dass Heine immer schon ein sehr persönliches Gottesverständnis hatte, dass sich mit den
Ansichten der Dogmatiker und Fanatiker wenig vereinbart und darum gerade heute durchaus aktueller ist denn je.
Text und Gliederung zu Heine-Madrigal I
1. Hoch am Himmel
Hoch am Himmel stand die Sonne,
Von weißen Wolken umwogt,
Das Meer war still,
2. Schaute ich Christus
Und sinnend lag ich am Steuer des Schiffes,
Träumerisch sinnend, - und halb im Wachen
Und halb im Schlummer, schaute ich Christus,
Den Heiland der Welt.
Im wallend weißen Gewande
Wandelt er riesengroß
Über Land und Meer;
Es ragte sein Haupt in den Himmel,
Die Hände streckte er segnend
Über Land und Meer;
Und als ein Herz in der Brust
Trug er die Sonne,
Die rote, flammende Sonne,
Und das rote, flammende Sonnenherz
Goß seine Gnadenstrahlen
Und sein holdes, liebseliges Licht,
Erleuchtend und wärmend,
Über Land und Meer.
3. Glockenklänge
Glockenklänge zogen feierlich
Hin und her, zogen wie Schwäne,
An Rosenbändern, das gleitende Schiff,
Und zogen es spielend ans grüne Ufer,
Wo Menschen wohnen, in hochgetürmter,
Ragender Stadt.
4. O Friedenswunder
O Friedenswunder! Wie still die Stadt!
Es ruhte das dumpfe Geräusch
Der schwatzenden, schwülen Gewerbe,
Und durch die reinen, hallenden Straßen
Wandelten Menschen, weißgekleidete,
Palmzweigtragende,
Und wo sich zwei begegneten,
Sahn sie sich an, verständnisinnig,
Und schauernd, in Liebe und süßer Entsagung,
Küßten sie sich auf die Stirne,
Und schauten hinauf
Nach des Heilands Sonnenherzen,
Das freudig versöhnend sein rotes Blut
Hinunterstrahlte,
Und dreimalselig sprachen sie:
Gelobt sei Jesu Christ!
Heine-Madrigal II
Meine Beschäftigung mit der Dichtung Nordsee hatte ich nach der Textauswahl für Heine-Madrigal I selbstverständlich auch andere Verse für eine Vertonung ins Auge gefasst. Hier stand
vor allem der Sonnengedanke und die Sinnfrage des Lebens im Mittelpunkt. Also komponierte ich, ohne dass es für das 1. Madrigal eine Aufführung gegeben hatte, ein Jahr später ein 2. Madrigal mit ähnlichem Aufbau. Mir war von Anfang
an klar, dass es zur Aufführung professionell arbeitende Ensembles braucht. Den Gedanken an einen berühmten Knabenchor, der mir beim ersten Madrigal noch gegenwärtig war, hatte ich bei der Komposition
des 2. Madrigals schon verworfen.
Das "Rätsel des Lebens", mit dem sich die Menschen vor dem Christentum in Worten und Werken auseinandersetzten ist nicht zu beantworten. Es wird ein Geheimnis bleiben, wie der Gottesglaube. Auch wenn
moderne Wissenschaft zu immer neuen Erkenntnissen gelangt, ist es faktisch unmöglich unsere Welt von außen zu betrachten und so zu einer höheren Erkenntnis zu gelangen als der, die unsere Natur als menschliches
Wesen gestattet. Spätestens seit der Entdeckung, dass wir unsere Milchstraße nie in ihrer Ganzheit sehen können, ist klar, dass unsere Gedanken "wie auf dem Felde die Weizenhalmen" sind: zart und verletzbar. Das
Universum ist von Höherem geschaffen. Des Menschen Geist sind eingewunden wie die Halme in den Blumenkranz, mit der die Mädchen zum Tanzen gehen, "wo die Stimme des Liebsten noch lieblicher tönt als Pfeifen und Geigen".
Die Menschen sind dort dem Gott am nächsten, wo sie glücklich sind. Aber das Glück ist eine ernste Sache.
Text und Gliederung zu Heine-Madrigal II
1. Untergang der Sonne
Die schöne Sonne
Ist ruhig hinabgestiegen ins Meer;
Die wogenden Wasser sind schon gefärbt
Von der dunkeln Nacht,
Nur noch die Abendröte
Überstreut sie mit goldnen Lichtern;
Und die rauschende Flutgewalt
Drängt ans Ufer die weißen Wellen,
Die lustig und hastig hüpfen,
Wie wollige Lämmerherden,
Die abends der singende Hirtenjunge
Nach Hause treibt.
2. Rätsel des Lebens
Am Meer, am wüsten, nächtlichen Meer
Steht ein Jüngling-Mann,
Die Brust voll Wehmut, das Haupt voll Zweifel,
Und mit düstern Lippen fragt er die Wogen:
»O löst mir das Rätsel des Lebens,
Das qualvoll uralte Rätsel,
Worüber schon manche Häupter gegrübelt,
Häupter in Hieroglyphenmützen,
Häupter in Turban und schwarzem Barett,
Perückenhäupter und tausend andre
Arme, schwitzende Menschenhäupter –
Sagt mir, was bedeutet der Mensch?
Woher ist er kommen? Wo geht er hin?
Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?«
Es murmeln die Wogen ihr ew'ges Gemurmel,
Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,
Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt,
Und ein Narr wartet auf Antwort.
3. Epilog
Wie auf dem Felde die Weizenhalmen,
So wachsen und wogen im Menschengeist
Die Gedanken.
Aber die zarten Gedanken der Liebe
Sind wie lustig dazwischenblühende,
Rot' und blaue Blumen.
Rot' und blaue Blumen!
Der mürrische Schnitter verwirft euch als nutzlos,
Hölzerne Flegel zerdreschen euch höhnend,
Sogar der hablose Wanderer,
Den eu'r Anblick ergötzt und erquickt,
Schüttelt das Haupt,
Und nennt euch schönes Unkraut.
Aber die ländliche Jungfrau,
Die Kränzewinderin,
Verehrt euch und pflückt euch,
Und schmückt mit euch die schönen Locken,
Und also geziert, eilt sie zum Tanzplatz,
Wo Pfeifen und Geigen lieblich ertönen,
Oder zur stillen Buche,
Wo die Stimme des Liebsten noch lieblicher tönt
Als Pfeifen und Geigen.
Einführungstexte: Thomas Buchholz
|
|
|