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Werkeinführung

Gegen-Impuls für Orchester

Entstehung:

Die Komposition entstand 2013 im Auftrag der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie

Inhalt

  1. Een lekkere Ouverture (Ein schöner Anfang)
  2. Alle dingen laaten zich zeggen … (Alle Dinge lassen sich sagen …)
  3. Het paradijs om de hoek (Das Paradies ist anderswo)

Einführung

Über Musik zu sprechen hat immer etwas Seltsames: als ob Musik nicht Aussage genug wäre und der Sprache bedürfe, um verstanden zu werden. Was bedeutet es überhaupt, wenn man vom Verstehen von Musik spricht? Ich persönlich bin bezüglich dieser Fragestellung ein Skeptiker aus Erfahrung und mit Leidenschaft. Sicherlich gehört es zu einer geistreichen Unterhaltung, zu der ich auch ein Konzert rechne, ein paar Dinge über ein Musikwerk oder dessen Komponisten zu wissen. Jedoch bin ich kein Apologet des momentan sich seuchenhaft ausbreitenden Vermittlungswahns neuer Musik. Daher möchte ich zu meiner Musik lediglich ein paar wenige Impulse geben, die Ohrenfälliges bestätigen bzw. sinnfällig machen können: Sie hören eine Komposition mit barockmusikartiger Grundsubstanz und einer zweiten Ebene aus offenbar dort weniger passenden, ja als falsch empfundenen Klängen. Gleich nach dem Verklingen der durch seltsame „Gewürze“ lekker angerichteten Französischen Ouvertüre werden Sie bemerkt haben, dass die Barockmusik wie hinter einem Schleier verschwindet. Und bisweilen entgleitet die Musik fast vollständig in einem nebligen Klang. Andernorts wirkt die barocke Substanz merkwürdig überzogen, als ob den Tänzerinnen und Tänzern der Fischbeinrock wie Staub abgefallen wäre. Und die Chaconne am Ende, die Sie sicherlich an ihrer Variationsform über einem immer wiederkehrenden Bass sofort erkannten, verführt Sie zuweilen auf merkwürdiges Parkett. Das Paradies ist anderswo. Ich habe Ihre Freude, Barockmusik zu hören, bisweilen empfindlich gestört. Und Sie haben allen Grund, mir darum böse zu sein. Ich will mich auch nicht verteidigen, denn ich bin ja ein zeitgenössischer Komponist und als solcher gewohnt, als Störenfried im Konzertsaal meine Rolle zu spielen. Was macht man mit Störenfrieden? Man wirft sie hinaus. Deshalb kommen meine Kollegen und ich so selten vor in den Konzerten. Nicht wie ganz früher, wo man ausschließlich lebende Komponisten spielte. Heute aber darf ich mich jedoch mal wieder so richtig austoben. Ihr sitzt umgeben von Elektrizität, Computern, modernen Verkehrsmitteln beseelt von der Sehnsucht nach Kerzenlicht und den vielen alten Dingen zusammen und zürnt mir. Jedoch alle wissen: Mitten im von Barockmusiktradition (Schütz, Bach, Fasch, Händel, Telemann) heimgesuchten kleinen Land Sachsen-Anhalt wäre ein Leben ohne die Errungenschaften der Wissenschaft und Technik nicht vorstellbar. Wieso sollte das nicht auch für die Kunst gelten? Das Spannungsfeld zwischen Kerzenlicht und Solarzelle ist für mich als Komponist schon lange eine Spielwiese illustrer und bisweilen auch karikierender Einfälle. Es macht mir Vergnügen, mich zwischen barock aufgeblähtem Impuls und dem Gegen-Impuls moderner Eulenspiegeleien immer wieder neu auszutoben. Es wäre schön, wenn Sie mir das verzeihen könnten. Und vielleicht beantwortet sich in diesem Verzeihen auch die Frage, warum man heutzutage keine Musik zu schreiben versuchen sollte, die wie jene unserer Vorfahren klingt: Jede Rose blüht nur einmal.





© 2006 Thomas Buchholz - Komponist

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