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Werkeinführung

FEININGER FRAKTALE für Orchester

Entstehung:

Die Komposition entstand 2018 im Auftrag der Anhaltischen Philharmonie

Inhalt


EINS | 4'50"
ZWEI | 2'30"
DREI | 3'40"
VIER | 2'15"
FÜNF | 2'00"
SECHS | 4'00"
SIEBEN | 2'50"
ACHT | 5'15"
NEUN | 2'40"
ZEHN | 4'00"
ELF | 2'00"
ZWÖLF | 5'15"

Dauer: 42'

Einführung

In Vorbereitung auf das Bauhaus-Jubiläum 2019 gab es die Überlegung von GMD Markus L. Frank, ein neues Werk zu programmieren, das sich mit den Fugenkompositionen von Lyonel Feininger (1871-1956) beschäftigt. Schon in den Vorgesprächen wurde klar, dass es eine Instrumentierung der Fugen Feiningers aus guten Gründen nicht sein soll. Also entschloss ich mich, nach Durchsicht aller Feininger-Fugen, lediglich Rudimente der umgearbeiteten Themen einfließen zu lassen. Da von den 13 Fugen und einem Fragment zwei Fugen über das gleiche Thema komponiert wurden, ergaben sich 12 Sätze, die wie Fraktale das teilweise bis zur Unkenntlichkeit bearbeitete Thema weiterspinnen. So sind Sätze entstanden, die ihrer eigenen Dramaturgie folgen und nicht beabsichtigen in irgendeine mögliche Verbindung zu Feiningers Bildwerk zu geraten. Wenn man die Bilder als Kunstwerke auch musizieren könnte, müsste man sich nicht die Mühe machen, sie zu malen. Umgedreht braucht man keine Musik, wenn die Bilder für sich sprechen. In dieser Überzeugung komponierte ich im heißen Sommer 2018, vom 29. Mai - 30. Juli, einen musikalisch nur auf sich selbst bezogenen Orchesterzyklus.
Dennoch gibt es eine ganz strukturell geankerte Beziehung zu Feininger. Vor allem geht es um die Ernsthaftigkeit der Anlage und die Konsequenz des musikalischen Gefüges. Es gibt eine deutliche Gliederung in zwei mal sechs Sätze. Der sechste Satz endet mit einer schließenden Kadenz, wie auch der zwölfte Satz kadenziell angelehnt endet. Manchen Verfechtern einer Neuen Musikästhetik mag das so fremd erscheinen, wie die Bilder Feiningers den Rasseästheten. Feininger musste in der Zeit des Tausendjährigen Reiches, welches gerade einmal etwas mehr als ein Dezennium dauerte, das Land verlassen, wie so viele jener Künstlerinnen und Künstler, deren Werke ein entartetes Regime, als „Entartete Kunst“ betitelte. Trauriges Zeugnis einer nicht mehr auszulöschenden Schande. Bei der Entstehung des vorliegenden sinfonischen Werkes war ich von solchem Gedächtnis an den großen Künstler getragen.
Lyonel Feininger Fugenkompositionen sind eine ernst zu nehmende Auseinandersetzung mit Formstrukturen, die auf die Barockzeit zurück gehen. Der Bildkünstler entstammt einem musikalischen Elternhaus und hatte seit Kindheit auch das Klavierspiel erlernt. Die Beschäftigung mit der Fugenkomposition beginnt 1921 in Weimar. Hier vertieft sich Feininger im Selbststudium in Bachs Fugenkompositionen, insbesondere dem WOHLTEMPERIERTEN KLAVIER und der KUNST DER FUGE. Die nun nach und nach bis 1927/28 entstehenden Eigenschöpfungen sind aus der Sicht des Tonkünstlers zunächst höchst eigenartig ausgefallen. Alle Fugen haben einen erstaunlichen Umfang von etwa sieben bis etwa zwölf Minuten Dauer. Sie sind keine Stilkopien der Musik Bachs, auch wenn hie und da mit gewissen „Barockismen“ geliebäugelt wird. Sie haben auch teilweise erhebliche Satzfehler, die kaum als künstlerische Freiheit im Umgang mit einer alten Form bewertet werden können. Auf den Punkt gebracht, verfügte Feininger nicht über die Kenntnisse des Kontrapunktierens, die für das Komponieren einer Fuge nötig sind. Immerhin zählt das Verfertigen einer künstlerisch gestalteten Fuge mit zum Anspruchsvollsten, was im Bereich tonaler Komposition erdacht werden kann.
Selbstverständlich können die Fugen Feiningers schon aus rein handwerklichen Aspekten einem so hohen Anspruch nicht genügen und vielleicht war es auch nicht Feiningers Absicht, einen Wettstreit in Fugenkomposition zu gewinnen. Schon die handschriftliche Bemerkung am Ende seiner ersten Fuge, dass doch alles falsch sei, zeugt davon, dass er sein Unvermögen beim Verfassen der Fugen vielleicht spürte, ohne es konkret benennen zu können. Bei teilweise kühner Harmonik sind die Stimmfortschreitungen oft ungelenk und wirken wie Brüche im Gefüge oder es unterlaufen unlogische Parallelführungen und vermeidbare Sequenzen. Besonders heikel ist die Tatsache, dass Feininger die Grundregel der tonalen Beantwortung offenbar nicht kannte, wonach eine Bewegung von der ersten zur fünften Stufe im Fugenthema (Dux) mit der Rückbewegung von der fünften zur ersten Stufe beantwortet werden muss (Comes), um das tonale Spannungsgefüge von Tonika und Dominante aufrecht zu erhalten. Schon die erste Fuge in es-Moll zeigt das erwähnte Problem.
Der Dux beginnt auftaktig mit dem Quintsprung abwärts b0 - es0, also den Stufen V - I. Regulär muss der Comes eine Quinte höher den Dux imitieren, wobei aus der fünften die erste und aus der ersten die fünfte Stufe wird. Somit ist die Antwort im Comes mit f1 - b0 nicht korrekt. Das erste Intervall muss es1 - b0, also eine Quarte sein (s. handschriftliche Korrektur). Diese satztechnische Kenntnis ist für alle, die eine Fuge schreiben wollen von elementarer Bedeutung. Feininger wendet sie in keiner seiner Fugen an, obwohl er Themen konzipiert, die diese Form der Beantwortung ohne mögliche Ausnahme verlangen. Es ist davon auszugehen, dass er sie nicht kannte. Auch sein Weimarer Komponistenfreund Hans Brönner (1892-1972) hat Feininger offenbar keinen Unterricht in harmonischem Kontrapunkt erteilt. Feiningers Selbststudien an Bachschen Fugen, von denen sein Bruder Laurence Feininger in dem Aufsatz „Lyonel Feininger und die Musik“ (Tutzing 1971) spricht, hat ihn nicht zu tieferen Einsichten in das innere tonale Gefüge einer Fuge geführt. Dabei behandelt Bach das ober beschriebene Phänomen bei der Beantwortung von Fugenthemen gleich in den ersten vier Fugen in der KUNST DER FUGE. Auch spätere Überarbeitungen, die Feininger an seinen Fugen vornahm, zeigen in den erhaltenen Abschriften keine Lösung dieses geradezu elementaren satztechnischen Problems.
Trotz dieses Mangels in Fragen der Satztechnik ist die musikalisch-kompositorische Arbeit Feiningers in Bezug auf sein bildkünstlerisches Werk offenbar von Bedeutung. Die Blockartigkeit der Abschnitte seiner Kompositionen, das Verstricken von linearen und flächigen Strukturen zu einem Gesamtbild, das findet sich zumindest im Ansatz auch in seinen Kompositionen, die er Fugen nennt. Seine insgesamt zwölf Themen mit meiner Musik zu amalgamieren erschien mir eine geeignete Möglichkeit. Dabei habe ich die Reihenfolge der Fugenthemen meinen musikalischen Ideen folgend verwendet. Auch erlaubte ich mir tiefe Eingriffe in die Struktur der Themen, um sie für mich verwendbar zu machen. Dabei veränderte ich die Themen bis zu ihrer völligen Unkenntlichkeit und schug auf diese Weise eigenständige Themen.
Das erste Thema entstammt einer unvollendeten und unbenannten 14. Fuge vom März 1928. Das zweite Fugenthema, datiert Weimar 1922, entstammt der „Fugue 8 „und der in Dessau 1927 komponierten „Fuge in D (13)“. Das dritte Thema kommt aus der „Fuga IV“ von 1921. Das vierte Thema ist der „Fuge I“ von 1921 entnommen. Das fünfte Fugenthema entstand mit der „Fuge 2“ 1921 in Weimar. Das sechste Thema datiert 1922 und entstammt der „Fuga VI“. In einer Handschrift (Weimar 1921) wurde diese Komposition, der das siebende Thema entnommen ist, auch als „Gigue“ bezeichnet, andere Handschriften nennen es „Fuge III“. Datiert wurde die „Fuga II“ in Weimar 1926. Sie liefert das achte Thema. 1922 in Weimar entstand die Fuga VII (andernorts auch mit arabischer Ziffer 7), der das 9. Thema entnommen ist. Die „Fuga XII“ verortet sich 1926 in Dessau. Ihr Thema bildet den Ausgang für den zehnten Satz. Das elfte Thema entstammt der 1922 in Weimar entstandenen „Fugue Nr.10“. Das zwölfte und letzte Thema ist der mit „Fuge IX“ überschriebenen Komposition entnommen.
Allein die unterschiedliche Art der Zählung und Benennung der Kompositionen zeigt, dass ein Gesamtplan über eine bestimmte Anzahl Fugen und ihre Reihenfolge nicht existiert haben kann. Vielmehr handelt es sich um eine lose Folge von Kompositionen, zu denen der Maler zwischen seiner bildkünstlerischen Arbeit in einem kurzen Abschnitt seines Lebens Zeit und Gelegenheit fand. Mein Werk möge der Bewunderung für den großen Künstler und seinem Wirken als Meister der Bauhaus-Schule in Weimar und Dessau Ausdruck geben.
Die folgende Tabelle listet die Themengestalten Feiningers in Gegenüberstellung zu den Methamorphosen in den Feininger Fraktalen:

Feiniger Buchholz

Thomas Buchholz, Halle im Sommer 2018





© 2006 Thomas Buchholz - Komponist

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